COSIMA-FILMTHEATER

Sieglindestraße 10
12159 Berlin
U- und S-Bahn Bundesplatz
Tel.: ...
Wir zeigen heute,
Samstag, den 27.07.2024:


12:45 Cosima:
Arrow Mein Totemtier und ich

15:30 Cosima:
Arrow Die Ermittlung

20:30 Cosima:
Arrow Juliette im Frühling

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Pfeil Bundesplatz Kino

Eine Frage der Würde

... seit dem Bundesstart am 25. Januar im Cosima-Filmtheater !
wieder am Donnerstag (15.2.) um 17:45 Uhr, Montag (19.2.) um 15:00 Uhr und am Dienstag (20.2.) um 17:45 Uhr im Cosima !


Beim wichtigen Festival im tschechischen Karlovy Vary wurde Stephan Komandarevs „Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons“ mit drei Preisen ausgezeichnet, völlig zurecht. Denn dem Bulgaren gelingt hier ein harscher, mal sozialrealistischer, mal wie eine Farce wirkender Film über eine 70jährige Frau, die im moralischen Niemandsland des postsozialistischen Bulgariens um ihre Würde kämpft – und sie verliert.

Urotcite na Blaga
Bulgarien/ Deutschland 2023
Regie: Stephan Komandarev
Buch: Simeon Vensislavov und Stephan Komandarev
Darsteller*innen: Eli Skorcheva, Ivan Barnev, Gerasim Georgiev, Stefan Denolyubov, Rozalia Abgarian, Ivaylo Hristov
Länge: 114 Minuten


FILMKRITIK:

In einer kleinen Stadt im Nordosten von Bulgarien lebt die 70jährige Blaga (Eli Skorcheva), eine ehemalige Lehrerin, die ihre karge Pension mit Privatstunden aufbessert. Der Migrantin Tanja (Rozalia Abgarian) bringt sie mit großer Strenge Bulgarisch bei, denn im Gegensatz zu Blaga hat die aus Armenien stammende Tanja noch Hoffnung, in Bulgarien ein besseres Leben zu finden.

Blaga hat diese längst verloren, auf dem Friedhof wird sie von der zuständigen Person mit einem „So ist eben der Kapitalismus“ vertröstet, als sie ein Grab für ihren gerade verstorbenen Mann – und auch gleich für sich selbst – erwerben will. Eine schöne Stelle ist gerade freigeworden, doch diese kostet 16.000 Lei, ungefähr 8.000 Euro. Nicht auf der Bank bewahrt Blaga ihr Geld auf, sondern zu Hause, im Schrank, und genau das wird ihr zum Verhängnis.

Ein Telefonbetrüger macht ihr Angst, behauptet von der Polizei zu sein, doch das Geld ist weg. Als 70jährige hat Blaga keine Chance auf einen Job, der Staat kann und will ihr nicht helfen, auch bei der Bank gibt es keinen Kredit und als Opfer eines Betrügers ist sie nun gar das Gespött der Nachbarschaft. In ihrer Not gibt sie im Internet eine Anzeige auf, flexible Arbeitszeiten, eigenes Auto, so wie die Polizei die Masche der Telefonbetrüger beschrieben hat: Nun ist es Blaga selbst, die dabei hilft, andere Menschen auszunehmen, Geld in Plastiktüten abzuliefern und ihren Anteil zu bekommen.

Filme wie „Eine Frage der Würde“ kamen in den letzten 20 Jahren oft aus Rumänien, Regisseure wie Cristi Puiu, Cristian Mungiu oder Corneliu Porumboiu hielten der gesellschaftlichen Entwicklung ihres Landes eines ungeschönten Spiegel vor, sezierten die Abgründe des Kapitalismus und die Spätfolgen des Sozialismus. Ganz ähnliches macht nun auch der 57jährige bulgarische Regisseur Stephan Komandarev, der zu Beginn seiner Karriere Dokumentarfilme drehte, seit einigen Jahren nun mit zunehmendem Erfolg Spielfilme, die aber einem dokumentarischen Blick verhaftet sind.

In fast jedem Bild von „Eine Frage der Würde“ ist Blaga zu sehen, gespielt von der bekannten bulgarischen Schauspielerin Eli Skorcheva, die nach 30 Jahren zum ersten Mal wieder vor die Kamera tritt. Gnomenhaft, verhärmt wirkt diese Blaga, durch ein langes Leben gezeichnet, ein Leben, das im Sozialismus begann und den Übergang zum Kapitalismus erlebte, mit all seinen Hoffnungen und bald gebrochenen Versprechen. Ein einziger Kampf ist das Leben für Blaga, Respekt bringt ihr trotz ihres Alters niemand entgegen, auch nicht ihr Sohn, der in Amerika lebt und seine Mutter bald für ihre Naivität beschimpft.

In manchen Momenten der Geschichte sind zwar die Räder des Plots zu spüren, mit denen Stephan Komandarev seine Hauptfigur in immer niedere Gefilde drängt, mit der er sie in die Situation zwingt, in der sie ihre Würde verliert. Doch die intensive Darstellung von Skorcheva und der unerbittliche Blick auf die bulgarische Realität lassen manch konstruierten Drehbuchmoment schnell vergessen. Dicht und intensiv beschreibt Komandarev den moralischen Abstieg seiner Hauptfigur, beobachtet sie, ohne deutlich zu werten, aber auch ohne ihr Verhalten zu entschuldigen. Am Ende, nach einem unausweichlichen, aber deswegen nicht weniger schwer zu ertragenden Finale hallen Blagas Schritte noch, während der Abspann läuft, so wie dieser harte, harsche Film noch lange in den Gedanken der Zuschauer nachhallt.

Michael Meyns, programmkino.de